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Vertrag über die Energiecharta

1.8.2021

Die Energiewende hat viele Aspekte, von denen manche stark im Rampenlicht stehen, manche andere wiederum fernab von der Öffentlichkeit stattfinden und fast gänzlich unbeachtet bleiben. Der Ausbau Erneuerbarer Energien steht z.B. sehr stark im Fokus. Der Bau neuer Solar- und Windkraftanlagen bewegt die Gemüter. Hingegen wirken internationale Verträge meist eher langweilig – besonders wenn es sich um Wirtschaftsverträge handelt – und fliegen daher quasi unter dem Radar der öffentlichen Berichterstattung. Dabei sind es oftmals diese, die maßgeblich politische Entscheidungen für das konkrete Vorantreiben der Energiewende bestimmen.

Der Vertrag über die Energiecharta ist etwa ein Abkommen, das kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, jedoch das Engagement vieler Regierungen weltweit für die Energiewende aktiv hemmt und stört. Dazu gehört auch der Ausstieg aus der Atomkraft. Nach dem Zerfall des Ostblocks geschlossen, diente dieser Vertrag ursprünglich dazu, die Energiesektoren ehemaliger Mitgliedsländer des Warschauer Paktes besser in die europäischen und globalen Märkte zu integrieren.

Er enthält: • Ein internationales Investitionsschutzabkommen, um ausländische Investoren etwa vor gesetzlicher Willkür zu schützen. • Ein Investor-state dispute settlement (Investor-Staat-Beilegung), das es ausländischen Investoren ermöglicht, gegen Staaten Klage zu erheben, sehen sie ihre Rechte verletzt. • Die Verpflichtung zu nicht diskriminierenden Bedingungen für Energienhandel, also Produkte, Materialien und Ausrüstung, sowie die Gewährleistung von verlässlichem grenzüberschreitendem Energietransit. • Förderung der Energieeffizienz, sowie Umweltfreundlichkeit bei Energieproduktion und -verbrauch. Im Jahr 1998, als die Energiecharta in Kraft trat, war die Erinnerung an Tschernobyl bereits dabei zu verblassen, der Atomunfall von Fukushima lag noch mehr als ein Jahrzehnt in der Zukunft. Das Kyoto-Protokoll von 1995 war noch relativ frisch unterzeichnet, doch enthielt es zu wenig verbindliche Richtlinien für konsequenten internationalen, globalen Klimaschutz. Bis zur wirklichen öffentlichen Wahrnehmung des Klimawandels brauchte es noch einige Jahre.

So begünstigte der Energiecharta-Vertrag – ganz dem Zeitgeist der wirtschaftlichen Liberalisierung der 1990er Jahre entsprechend – allzu einseitig die großen internationalen Energiekonzerne. Diese konnten nun gegen Staaten klagen, falls sie ihre Interessen und Investitionen gefährdet sahen. Der umgekehrte Fall war und ist jedoch nicht möglich! Da internationale Konzerne meist im fossilen und nuklearen Energiegeschäft tätig sind, verwundert es nicht, dass 97% aller Investor-state dispute settlement – Klagen (ISDS-Klagen) aus dieser Branche kommen. Ebenfalls treu dieser Linie ist ihre rasant steigende Anzahl: Aus dem ersten Jahrzehnt des Vertrages (1998-2008) sind insgesamt 19 Klagen bekannt, aus dem zweiten Jahrzehnt (2008-2018) jedoch mittlerweile 75, Tendenz steigend.

Traf es früher eher mittel- und osteuropäische, sowie zentralasiatische Länder, so sind nun zunehmend West- und Südeuropa betroffen. Im Mai 2017 verklagte etwa das britische Öl- und Gasunternehmen Rockhopper den Staat Italien, weil dieser sich weigerte, Offshore-Ölbohrungen in der Adria zu erlauben. Im September 2019 drohte der deutsche Konzern Uniper den Niederlanden mit einer Klage, weil das Land bis 2030 keinen Kohlestrom mehr produzieren möchte. Der schwedische Energiekonzern Vattenfall verklagte Deutschland gleich zweimal: Einmal wegen des drohenden Stopps für die Inbetriebnahme des Kohlekraftwerks Hamburg-Moorburg 2008, und das zweite Mal im Sommer 2012 wegen des im Vorjahr beschlossenen Atomausstieggesetzes. Dieser zweiten Klage schlossen sich außerdem noch E.ON und RWE an. Auch die EU als Ganzes wurde schon verklagt: Von der Gas-Pipeline Firma Nord Stream 2 aufgrund neuer EU-Gasrichtlinien, die der Konzern als diskriminierend empfand. Dabei geht zum Teil um enorme Summen. Vattenfall und RWE bekamen im Juni 2021 für ihre Klage gegen die Stilllegung der Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel 1,425 Mrd. € bzw. 880 Mio. € zugesprochen. Die teuerste Klage kam von den Aktionären des ehemaligen Öl- und Gaskonzerns Yukos im Jahr 2014 gegen die russische Föderation: 50 Mrd. US-Dollar (37,2 Mrd. €) verlangten sie für die Zerschlagung des Riesenkonzerns, der einmal zu den 10 größten weltweit gezählt hatte.

Das Tückische ist, dass ein Konzern einen Staat auch dann verklagen kann, wenn dieser bereits aus dem Vertrag ausgetreten ist. Voraussetzung dafür ist, dass die Investition vor diesem Austritt stattgefunden hat. Ist das der Fall, darf der Staat bis zu 20 Jahre nach seinem Austritt verklagt werden. Bei der Rockhopper-Klage gegen Italien war genau das der Fall. Italien war 2016 aus der Energiecharta ausgetreten, Rockhopper klagte 2017. Langsam steigt jedoch der Druck auf die Unterzeichnerstaaten, diesen Knebelvertrag zu beenden, der im Verborgenen mit dazu beiträgt, wirksamen Klimaschutz auf politischer Ebene zu behindern und zu verzögern.

Die österreichische NGO Attac veröffentlichte etwa einen offenen Brief, in welchem mittlerweile über 400 Organisationen ihre Regierungen zur Beendigung des Energiecharta-Vertrages auffordern. Zu diesem Zweck läuft auf der Website von Attac auch eine Online-Petition: Petition: Klimakiller Energiecharta-Vertrag stoppen! | Attac Österreich Auch von offizieller Seite steigt der Unmut. Im November 2020 forderten etwa 280 Parlamentarier*innen europaweit ein Ende der Energiecharta in ihrer jetzigen Form. Am Ende wird es zumindest eine Modifikation, wenn nicht ein Ende der jetzigen Energiecharta geben müssen. Alleine in Europa schützt der Vertrag fossile Energieeinrichtungen im Wert von mehr als 344 Mrd. €! Ohne ihre Beseitigung hat Europa keine Chance auf Klimaneutralität, geschweige denn einem Erreichen des im Pariser Klimaabkommen beschlossenen Ziels von maximal 1,5 °C Erderwärmung. Jede Stimme, welche die Forderung nach einem Ende der Energiecharta unterstützt, ist daher eine Stimme für Klimaschutz und eine lebenswerte Zukunft!

Quellen: • IG Windkraft - - Energiecharta-Vertrag: 402 Organisationen fordern Ausstieg - News • Vertrag über die Energiecharta – Wikipedia • Energy Charter Treaty - Wikipedia • Investor-state dispute settlement – Wikipedia • ECT-Vertrag: Geheim-Prozesse gegen den Klimaschutz - ZDFheute • Front page | EndFossilProtection.org • Petition: Klimakiller Energiecharta-Vertrag stoppen! | Attac Österreich • Keine Paralleljustiz für Konzerne - Stopp ISDS! | Attac Österreich • Klimakiller Energiecharta-Vertrag | Attac Österreich • Executive_summary_separat_deutsch.indd (attac.at) • Civil Society Organisations' Statement against the Energy Charter Treaty • Vattenfall gegen Bundesrepublik Deutschland – Wikipedia • Investitionsschutzabkommen – Wikipedia


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