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Da Erdbeben, wenn sie die Auslegung eines Kernkraftwerken (KKW) überschreiten, zu verheerenden Auswirkungen führen können, ist der Erdbebengefährdung von KKW-Standorten und der seismischen Auslegung von KKW große Aufmerksamkeit zu widmen. Zentral ist dabei die Frage, ob Beben welcher Stärke in welchen Zeiträumen zu erwarten sind. Im Auftrag des Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie hat das Umweltbundesamt Expertinnen und Experten mit der Erstellung eines Gutachtens zur Erdbebebgefährdung des Standortes Paks beauftragt.
Für das nun veröffentlichte Gutachten wurden öffentlich zugängliche ungarischsprachige Studien und Bescheide übersetzt und die mit der Prüfung beauftragten Konsulentinnen und Konsulenten haben mit ungarischen und anderen internationalen Expertinnen und Experten intensiv konsultiert. Das Gutachten selbst wurde dann noch einer internationalen Peer Review unterzogen.
Die ExpertInnen kommen zu folgenden Schlußfolgerungen:
Am 27. Oktober 2016 hat die MVM Paks II. Zrt. eine Standortlizenz für das neue Kernkraftwerk Paks II beantragt, das auf einem Grundstück neben dem bestehenden ungarischen KKW Paks errichtet werden soll. Zu diesem Zweck hatte der Lizenzantragsteller ein umfassendes geologisches Explorationsprogramm initiiert. Die Untersuchungen sind in zwei Berichten zusammengefasst: dem von einer Vielzahl von Experten verfassten Geologischen Standortbericht und dem Standortsicherheitsbericht, der von MVM Paks II Zrt. auf der Grundlage des Geologischen Standortberichts erstellt wurde.
Der Geologische Standortbericht identifiziert ein System strukturell verwandter, SW-NE-streichender, aktiver Störungszonen in der nahen Region um den Standort Paks II, zu dem die Németkér-, Bonyhád-, Kapos- und Dunaszentgyörgy-Harta- Störungszone zählen. Letztere verläuft direkt unterhalb des Paks II-Standorts und des bestehenden KKW. Die Nachweise seismotektonisch aktiver Bewegungen an den genannten Verwerfungen umfassen versetzte quartäre Sedimente (in geophysikalischen, geologischen und Bohrlochprofilen ausführlich dargestellt), geomorphologische Merkmale, die auf Oberflächenversätze hinweisen (morphologische Störungsstufen, versetzte äolische Landformen, Morphologien von Flussläufen) und paläoseismologische Hinweise auf starke Erdbeben, die von etwa 14 Lokalitäten beschrieben werden. Unter den aufgezählten Daten sind die Ergebnisse der paläoseismologischen Aufgrabung Pa-21-II, die eine Zweigstörung der Dunaszentgyörgy-Harta-Störungszone etwa 0,7 km von den bestehenden KKW-Paks und 1 km vom Standort Paks II entfernt erschlossen hat, am bemerkenswertesten. In der Aufgrabung wurden 12 oberflächenversetzende Brüche nachgewiesen, die offenbar während zweier verschiedener Erdbeben vor etwa 20.000 und 19.000 Jahren gebildet wurden. Unter den dokumentierten Strukturen ist eine negative Blumenstruktur, die nach der Interpretation der Autoren dieser Studie eine horizontale Oberflächenverschiebung von etwa 0,3 bis 0,4 m während eines Erdbebens von M≥6 anzeigt. Die AutorInnen dieser Studie schließen daraus, dass die Dunaszentgyörgy-Harta Störungszone, die durch den Standort Paks II verläuft, sowohl als aktive Störung als auch als Capable Fault (ein Bruch, der die Oberfläche versetzen kann), zu klassifizieren ist.
Aktive Störungen sind nach Definition der IAEO tektonische Strukturen, die sich in der jüngsten geologischen Vergangenheit bewegt haben und die sich voraussichtlich innerhalb einer für die Sicherheit einer Kernanlage relevanten zukünftigen Zeitspanne bewegen werden. Eine Capable Fault hat zusätzlich ein erhebliches Potential, Verschiebungen an oder in der Nähe der Erdoberfläche zu verursachen.
Die Gefährdung durch Brüche, die die Oberfläche versetzen können (Capable Faults), ist gemäß den nationalen ungarischen Vorschriften ein Ausschlusskriterium für einen Standort eines KKW. Das ungarische Regierungsdekret Nr. 118 von 2011, Anforderung 7.3.1.1100, besagt, dass ein Standort als ungeeignet qualifiziert werden muss, wenn die Möglichkeit des Auftretens einer dauerhaft
ten Oberflächenverschiebung auf dem Gelände durch wissenschaftliche Beweise nicht zuverlässig ausgeschlossen werden kann und die Verschiebung die kerntechnische Anlage beeinträchtigen kann.
Der Nachweis aktiver Störungen in der Nähe von Paks II und der Nachweis von Brüchen der Verwerfungszone Dunaszentgyörgy-Harta, die das Potential haben, die Erdoberfläche zu versetzen, wird in dem von MVM Paks II Zrt. erstellten Standortsicherheitsbericht nicht vollständig und/oder nicht korrekt wiedergegeben. Der Standortsicherheitsbericht übergeht relevante Ergebnisse des geologischen Standortberichts, wie etwa praktisch alle paläoseismologischen Daten aus der weiteren Umgebung des Standorts, und zeigt eine, von den Daten des Geologischen Standortberichts abweichende Lage und Ausdehnung der Dunaszentgyörgy-Harta Störungszone am Standort Paks II. Obwohl der Standortsicherheitsbericht den Nachweis quartärer Verwerfungen entlang der Verwerfungszone Dunaszentgyörgy-Harta in der Nähe des KKW-Standorts grundsätzlich beschreibt, enthält er keine umfassende und unvoreingenommene Darstellung der paläoseismologischen Daten aus der Aufgrabung Pa-21-II. Die Schlussfolgerung des Standortsicherheitsberichts, dass „seismische Ereignisse im Forschungsgebiet auf einer Zeitskala von einhunderttausend Jahren die Oberfläche nicht wesentlich verschieben können, das heißt, dass die Bruchflächen nicht als „capable“ angesehen werden können“, stimmt nicht mit den im Geologischen Standortbericht enthaltenen Daten überein. Die Widersprüche zwischen dem Standortsicherheitsbericht einerseits und den geologischen Beobachtungen und den Schlussfolgerungen im Geologischen Standortbericht andererseits widersprechen nach Meinung der Autoren dieser Studie den Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis.
Die ungarische Atomenergiebehörde (HAEA) hat am 30. Juni 2017 die Standortlizenz für das KKW Paks II erteilt. Dies geschah ungeachtet der Hinweise auf die oben genannten geologischen Strukturen und der daraus resultierenden sicherheitsrelevanten Probleme in Bezug auf Brüche, die das Potential haben, die Erdoberfläche zu versetzen (Capable Faults) sowie ungeachtet eines möglichen Konflikts mit den nationalen ungarischen Vorschriften hinsichtlich der Anforderung, das Auftreten einer dauerhaften Oberflächenverschiebung durch wissenschaftliche Beweise zuverlässig auszuschließen.
Im Gegensatz zur Standortlizenzentscheidung kommen die AutorInnen dieser Studie zu dem Schluss, dass die im geologischen Standortbericht und im Standortsicherheitsbericht dokumentierten geologischen und geophysikalischen Daten nicht ausreichen, um das Potenzial dauerhafter Oberflächenverschiebungen am Standort gemäß dem ungarischen Regierungsdekret Nr. 118 von 2011, Anforderung 7.3.1.1100, auszuschließen. Obwohl drei Teilstörungen der Verwerfungszone Dunaszentgyörgy-Harta, die sich im Untergrund des bestehenden KKW sowie in großen Teilen des Paks II-Standorts erstreckt, in nächster Nähe zum Standort aufgedeckt wurden, wird der 85 m lange paläoseismologische Schurf Pa-21-II als unzureichend angesehen, um eine zuverlässige und umfassende Bewertung des Potentials zum Oberflächenversatz für alle Zweigstörungen der offensichtlich aktiven Verwerfungszone zu ermöglichen.
Die AutorInnen dieser Studie kommen vielmehr zu dem gegenteiligen Schluss, dass die paläoseismologischen Daten aus dem Schurf Pa-21-II die Existenz von Brüchen, die das Potential haben, die Erdoberfläche zu versetzen, in nächster Nähe des Standorts von Paks II bestätigen. Diese nachgewiesenen Verwerfungen sind Teil der Dunaszentgyörgy-Harta Verwerfungszone, setzen sich in den Standort von Paks fort, und haben in den letzten ca. 20.000 Jahren die Erdoberfläche wiederholt und signifikant versetzt. Die Brüche sind daher nach der Definition der IAEO als „Capable Faults“ zu klassifizieren.
Die Studie kommt deshalb zu der abschließenden Einschätzung, dass es mehr als zweifelhaft ist, dass das ungarische Regierungsdekret Nr. 118 von 2011 über die Anforderungen an die nukleare Sicherheit, Anforderung 7.3.1.1100, erfüllt ist. Die Möglichkeit des Auftretens einer dauerhaften Oberflächenverschiebung am Standort Paks II kann durch wissenschaftliche Belege nicht zuverlässig ausgeschlossen werden. Der Standort Paks II sollte daher als ungeeignet angesehen werden.
Das Gutachten liegt in englischer Sprache mit einer Zusammenfassung in Deutsch, Ungarisch und Englisch vor. Das Gutachten wurde Ungarn zur Stellungnahme übermittelt.
Zusammengestellt von Renate Brandner-Weiß
Quelle: www.umweltbundesamt.at
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