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Sicherheitstechnische Analyse und Risikobewertung einer Anwendung von
SMR-Konzepten (Small Modular Reactors)
Wissenschaftliches Gutachten im Auftrag des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE
Auszüge aus der Zusammenfassung
SMR-Konzepte („Small Modular Reactors“) gehen auf Entwicklungen der 1950er Jahre zurück, insbesondere den Versuch, Atomkraft als Antriebstechnologie für Militär-U-Boote nutzbar zu machen.
Weltweit existieren heute unterschiedlichste Konzepte und Entwicklungen für SMR, die überwiegende Mehrzahl auf der Ebene von Konzeptstudien. Im Kontext der Diskussionen über die Nutzung zukünftiger Kernreaktoren, insbesondere auch als Maßnahme gegen den Klimawandel, erfährt das Konzept der SMR seit einiger Zeit wieder größere Aufmerksamkeit.
Im Jahr 2020 wurden in Russland zwei SMR-Pilotanlagen vom Konzept KLT-40S in Betrieb genommen, die auf einer schwimmenden Plattform installiert worden sind. Andere bereits in Betrieb befindliche Anlagen, wie der chinesische Versuchsreaktor für schnelle Neutronen (CEFR) sowie der indische Schwerwasserreaktor (PHWR-220), werden stellenweise ebenfalls den SMR zugerechnet.
Weitere Anlagen, wie der chinesische Hochtemperaturreaktor (HTR-PM) oder der argentinische Leichtwasserreaktor (CAREM), befinden sich – zum Teil schon seit längerer Zeit – in Bau. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) das Öko-Institut mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, das einen Überblick der gegenwärtig international unter dem Begriff SMR verfolgten Reaktorkonzepte, eine wissenschaftliche Einschätzung zu möglichen Einsatzbereichen und den damit verbundenen Sicherheitsfragen und Risiken liefern soll. Die Erarbeitung dieses Gutachtens erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Fachgebiet für Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik (WIP) der Technischen Universität Berlin sowie dem Physikerbüro Bremen (PhB).
SMR-Konzepte
Trotz der seit langem praktizierten Verwendung des Begriffs SMR gibt es bis heute keine international einheitliche Definition für diesen Begriff. Gängige Begriffsbestimmungen beziehen sich auf die Leistungsgröße eines SMR. Vielfach wird bei der Definition von SMR auch zwischen wassergekühlten Reaktorkonzepten und sonstigen (nicht-wassergekühlten) Reaktorkonzepten differenziert.
Weitere Bestandteile verschiedener Definitionen stellen direkt oder indirekt einen Bezug zum Begriff der Modularität her, welcher wiederum sehr verschieden verwendet wird. Damit verbundene Eigenschaften, wie die Errichtung mehrerer Reaktor-Module an einem Standort oder die Möglichkeit einer standardisierten, industriellen Herstellung einzelner Reaktormodule, werden nicht von allen Konzepten erfüllt.
Im Rahmen dieses Gutachtens werden SMRs daher wie folgt definiert:
SMRs sind Reaktoren, bei denen ein einzelner Reaktor eine elektrische Leistung von weniger als 300 MWe (oder eine thermische Leistung von weniger als 1000 MWth) aufweist. Dabei kann es sich sowohl um wassergekühlte als auch um sonstige (nicht-wassergekühlte) Reaktorkonzepte handeln. Damit reicht die Bandbreite der durch den Begriff SMR erfassten Konzepte von „heutigen“ Reaktoren mit geringer Leistung bis hin zu andersartigen Konzepten, für die bislang wenig industrielle Vorerfahrung vorliegt (wie beispielsweise Hochtemperatur- oder Salzschmelze-Reaktorkonzepte).
Bei einer Bewertung der sicherheitstechnischen Eigenschaften von SMR-Konzepten ist zu beachten, dass sich stark voneinander unterscheiden können. Es ist daher immer zu prüfen, inwieweit eine spezifische postulierte Eigenschaft von SMR-Konzepten für ein spezifisches Konzept auch tatsächlich erfüllt ist.
Eine im Rahmen dieses Gutachtens vorgenommene Zusammenstellung umfasst 136 verschiedene historische sowie aktuelle Reaktoren bzw. SMR-Konzepte. Von diesen wurden 31 Konzepte in größerem Detail betrachtet.
Eine breite Einführung solcher Konzepte ist bis heute nicht erfolgt. Einzelne dieser SMR-Konzepte weisen bereits eine sehr lange Entwicklungshistorie auf. So geht beispielsweise die Entwicklung des argentinischen CAREM bis in die 1970er Jahre zurück. Andere SMR-Konzepte sind neueren Datums und befinden sich daher noch in einer früheren Phase der Konzeptentwicklung. Auch existieren SMR-Konzepte, die zwar als aktuelle Konzepte diskutiert werden, deren Entwicklung jedoch faktisch unterbrochen ist (wie beispielsweise PBMR-400). Für manche Konzepte wie den CAREM, bei dem sich gerade ein erster Prototyp in Bau befindet, wird bereits über die Entwicklung eines Nachfolgemodells diskutiert.
SMR-Konzepte unterliegen zudem einer kontinuierlichen Weiterentwicklung. Vor diesem Hintergrund können alle Angaben zu einzelnen SMR-Konzepten nur Momentaufnahmen darstellen. Warum Entwicklungen im Einzelnen eingestellt oder grundlegende Designänderungen vorgenommen werden, wird in der Regel nicht öffentlich dokumentiert.
SMR-Konzepte unterscheiden sich in wichtigen technischen Eigenschaften, insbesondere dem verwendeten Kühlmittel. Die SMR-Konzepte lassen sich darüber verschiedenen Reaktortypen zuordnen. Im Rahmen dieses Gutachtens werden wassergekühlte und nicht-wassergekühlte SMR-Konzepte unterschieden. Letztere können den Hochtemperaturreaktoren (HTR), Reaktoren mit einem schnellen Neutronenspektrum oder den Salzschmelzereaktoren (MSR) zugeordnet werden.
Seit einigen Jahren werden darüber hinaus auch Konzepte mit besonders niedriger Leistung als sogenannte Mikroreaktoren (MR) diskutiert, wobei diese weit überwiegend auch den nicht-wassergekühlten SMR-Konzepten zuzuordnen sind.
Wassergekühlte Reaktoren stellen heute die weit überwiegende Anzahl der weltweit in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke. Damit stehen für solche Reaktoren grundsätzlich eine umfangreiche betriebliche Erfahrung sowie eine breit ausgebaute Infrastruktur zur Verfügung. Auch der Großteil der aktuell verfolgten bzw. weit fortgeschrittenen SMR-Konzepte sind den Leichtwasserreaktoren zuzuordnen. Solche Konzepte weisen daher vergleichsweise geringe Entwicklungsrisiken auf.
Gleichzeitig sind für solche Konzepte keine grundsätzlichen Unterschiede im Bereich der Ver- und Entsorgung gegenüber Kernkraftwerken mit großer Leistung zu erwarten.
Nicht-wassergekühlte SMR-Konzepte beinhalten grundsätzliche Neuerungen gegenüber heutigen Kernkraftwerken. Beispielsweise sollen durch höhere Betriebstemperaturen höhere Wirkungsgrade erzielt werden. Weiterhin sollen damit andere Anwendungsfelder, insbesondere die Bereitstellung von Hochtemperatur-Prozesswärme möglich werden. Viele dieser Konzepte zielen auf einen sogenannten geschlossenen Brennstoffkreislauf ab, mit verbundenen hohen technologischen Risiken im Bereich der Brennstoffentwicklung und von Wiederaufarbeitungstechnologien. Eine deutlich geringere Betriebserfahrung, vorwiegend aus Prototyp- und Demonstrationsreaktoren, sowie der geplante Einsatz neuartiger technologischer Lösungen und neuer Materialien lassen deutlich längere Entwicklungszeiträume sowie höhere technologische Entwicklungsrisiken gegenüber wassergekühlten SMR-Konzepten erwarten.
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Verschiedene nicht-wassergekühlte SMR-Konzepte sehen den Einsatz von höheren Urananreicherungen oder die Nutzung von Plutoniumbrennstoffen sowie von Wiederaufarbeitungstechnologie vor. Dies wirkt sich grundsätzlich nachteilig auf die Proliferationsresistenz aus. Weiterhin würde eine durch die Hersteller angestrebte weltweite Verbreitung der Anlagen in hoher Stückzahl zu einer entsprechenden Verbreitung von spaltbarem Material führen, was in Hinblick auf Proliferationsrisiken problematisch ist. Als ein weiterer wesentlicher Unterschied von SMR-Konzepten zu heutigen Leistungsreaktoren wird häufig die Nutzung von Systemen genannt, die eine lange Laufzeit aufweisen und als geschlossenes System geliefert würden. Dies könnte durch Versiegelung die Überwachung vereinfachen und Transporte minimieren. Durch den hohen Abbrand wird das Spaltmaterial zudem nach einiger Zeit unattraktiv.
Nachteilig wirkt sich aber die hohe erforderliche Menge an Spaltmaterial zu Beginn des Reaktorbetriebs aus. Ein zusätzlicher Aspekt betrifft die Möglichkeiten der Spaltmaterialüberwachung durch die Internationale Atomenergieorganisation. Viele der Standardmethoden zur Spaltmaterialüberwachung passen nicht direkt auf die Besonderheiten von SMR-Konzepten, es stellen sich damit neue Herausforderungen.
Insgesamt könnten SMR potenziell sicherheitstechnische Vorteile gegenüber Kernkraftwerken mit großer Leistung erzielen, da sie ein geringeres radioaktives Inventar pro Reaktor aufweisen und durch gezielte Vereinfachungen und einen verstärkten Einsatz der Nutzung passiver Systeme ein höheres Sicherheitsniveau anstreben. Demgegenüber wird bei verschiedenen SMR-Konzepten jedoch auch der Anspruch auf reduzierte Anforderungen beispielsweise mit Blick auf den Redundanzgrad oder die Diversität bei Sicherheitssystemen erhoben. Manche Konzepte fordern gar den Verzicht auf heutige Anforderungen ein, so im Bereich des anlageninternen Notfallschutzes oder bei reduzierten Planungsradien oder gar einen vollständigen Verzicht auf eine anlagenexterne Notfallschutzplanung. Da die Sicherheit von Reaktoranlagen von all diesen Faktoren abhängig ist, kann man nach heutigem Wissensstand nicht konstatieren, dass grundsätzlich durch SMR-Konzepte ein höheres Sicherheitsniveau erreicht wird.
Zusammengestellt von Renate Brandner-Weiß
Wissenschaftliches Gutachten im Auftrag des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE)
Verantwortlich für den Inhalt sind allein die Autor:innen.
BASE-001/21
Bitte beziehen Sie sich beim Zitieren dieses Dokumentes immer auf folgende URN:
urn:nbn:de:0221-2021030826028
Berlin, März 2021
Link zur Studie: https://www.base.bund.de/SharedDocs/Downloads/BASE/DE/berichte/kt/gutachten-small-modular-reactors.pdf?__blob=publicationFile&v=2
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