Aktuelle Infos zu Kernkraft und Atommüll-Endlagersuche

Pro Atomstrom-Papier der UNO-Organistion UNECE

19.8.2021

Atomenergie und die Klimakrise haben auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun. Atomkraft hat die Klimakrise nicht verursacht (bzw. nur zu einem geringen Teil), insofern geht sie mit einer relativ sauberen Weste in die Diskussion über die anstehende Energiewende. Kritisch wird es allerdings, wenn die Atomkraft-Befürworter beginnen, Atomenergie als „Retter des Klimas“ zu preisen und in diversen Publikationen für ihren Ausbau zu werben, um die Treibhausgasemissionen reicher Industrienationen zu senken.

Dazu gehört eine aktuelle Publikation der europäischen Wirtschaftskommission UNECE mit dem schlichten Titel „Technology brief, Nuclear Power“. Darin wird betont, dass eine Energiewende hin zu Klimaneutralität ohne Nuklearenergie schlicht nicht möglich sei – allerdings ohne konkrete Zahlen zu nennen. Die Publikation ist unausgewogen und undifferenziert gehalten, da den vermeintlichen Vorteilen einer „Atomwende“ weit größerer Raum gegeben wird als den Nachteilen, als da sind: Kostenintensität, Gefahren durch Radioaktivität, Umweltverschmutzung und Endlagerung hochradioaktiver Abfälle. Manche werden nur kurz angeschnitten, andere, wie die problematischen Verbindungen zwischen Militär und ziviler Atomindustrie, oder die Gefahren von Proliferation, völlig negiert.

Dennoch lohnt sich ein näherer Blick in das Papier, um die Argumente der Atombefürworter näher kennenzulernen und ihre Art des Datenumgangs.

Die UNECE betont von Anfang an die niedrigen Treibhausgasemissionen der Atomenergie und erwähnt diesen Umstand durch die ganze Publikation hindurch auch immer wieder. Auf den ersten Blick scheint das auch logisch: Atomkraftwerke verbrennen nichts, das CO2 oder andere Treibhausgase freisetzt – wie E-Autos auch. Während bei E-Autos allerdings unermüdlich auf den Umstand hingewiesen wird, wie energieaufwändig und klimaschädlich die Produktion und die Wertschöpfungskette von E-Motoren und Akkus seien, herrscht bei Atomkraftwerken beim gleichen Punkt eine verdächtige Ruhe.

Meist wird bei der Treibhausgasbilanz von Atomkraft ein Wert von zwischen sehr niedrigen 4 g/KWh bis hin zu sehr hohen 110 g/KWh CO2-Äquivalent genannt (deutsches Umweltbundesamt). Das liegt im unteren bis mittleren Bereich von Photovoltaik, wo die Emissionen bei ca. 16-63 g/KWh liegen (erneuerbareenergien.de). Besser schneidet noch die Windkraft ab, die das Klima nur mit ca. 5-16 g/KWh CO2-Äquivalenten belastet. Atomenergie ist hier fast schon vergleichbar mit Photovoltaik, wobei die Bandbreite der Schätzung extrem schwankt. Zum Vergleich: Gaskraftwerke verursachen Emissionen von ca. 500 g/KWh und Kohlekraftwerke bis zu 1.200 g/KWh  CO2-Äquivalent.

Die österreichische Energieagentur hat hier etwas genauer hingeschaut und bereits 2011 einen umfangreichen Bericht zur Energiebilanz der Nuklearindustrie vorgelegt. In einer Evaluierung verschiedener Studien kam heraus, dass die CO2-Bilanz stark vom Uran-Erzgehalt des geförderten Brennmaterials abhängt. Je geringer der Gehalt ist, umso energie- und damit emissionsintensiver wird die Förderung und umso schlechter die Gesamtbilanz. Typische Erzgehalte liegen bei 0,05-0,15% Natururan, ab 0,03% wird der Abbau als rentabel angesehen. Die mittleren CO2-Emissionen liegen laut Energieagentur daher bei 60-66 g/KWh, während hohe Schätzungen bis über 200 g/KWh reichen. Damit schneidet die Atomkraft nicht mehr so gut ab, da schwindende Uranvorräte und die Erschöpfung guter Lagerstätten in Zukunft einen immer geringeren durchschnittlichen Erzgehalt erwarten lassen.

Die UNECE verspricht jedoch auch hier Abhilfe (ohne auf die zugrunde liegende Problematik einzugehen) mit dem unvermeidlichen Blick auf zukünftige Reaktorkonzepte wie Thorium-Reaktoren, Generation IV-Reaktoren oder SMRs (Small Modular Reactors). Sie spricht von einer Einsatzreife in bereits 5 Jahren, unterschlägt aber, dass es sich bisher größtenteils um Konzepte handelt, nicht um ausgereifte und vor allem erprobte Modelle.

Brutreaktoren, die den Brennstoff effizienter nutzen als heute im Einsatz befindliche Reaktortypen, werden seit den Anfängen der Nukleartechnik vergeblich versucht erfolgreich umzusetzen. Mangelnde Sicherheit, technische Gebrechen und aus dem Ruder laufende Kosten (von fehlender Akzeptanz bei der Bevölkerung ganz zu schweigen!) haben bisher noch jedes Brutreaktor-Projekt zu Fall gebracht. Und dabei handelt es sich um den konservativsten der vorgeschlagenen neuen Kernreaktortypen. Hochtemperaturreaktoren, Flüssigsalzreaktoren, gasgekühlte Reaktoren etc. existieren bisher nur auf dem Papier oder in Power-Point-Präsentationen.

Photovoltaik, Windkraft, Wasserkraft etc., die ganze Palette an erneuerbaren Energien existiert hingegen jetzt schon und muss „nur“ noch installiert und in ihrer Anwendung hochskaliert werden. Das jedoch ist die Hauptherausforderung, nicht die Entwicklung neuer Technologien! Um die Energiewende zu unterstützen müsste die Atomindustrie ihre neuen Konzepte sowohl serienreif und vor allem sicher machen (was bei Atomenergie mit die größte Herausforderung ist!) und danach auch noch die Produktion hochskalieren. Dafür reichen weder die Zeit noch die Mittel.

Das Papier der UNECE geht von 5-10 Mrd. US-Dollar für den Neubau eines Atomkraftwerks aus, was derzeitige Neubauten in Europa (Hinkley-Point C, Olkiluoto, Flamanville) bis um das mehr als Dreifache überschreiten. Weiters geht die UNECE davon aus, dass damit ca. 78% der Gesamtkosten abgedeckt seien. Betrieb und Brennstoffkosten würden sich nur mehr mit 22% oder 1-2 Mrd. Dollar zu Buche schlagen. In dieser Rechnung fehlt völlig die Kalkulation für diverse mögliche Stör- und Unfälle und die damit verbundenen Versicherungskosten, oder die Kosten für die (immer noch nicht gelöste!) Endlagerung des anfallenden Atommülls.

Im Gegenteil geht die UNECE davon aus, dass etwa kleine modulare Reaktoren (SMRs) dabei helfen sollen, die Kosten für die derzeitigen großen kommerziellen Reaktoren zu senken. Das Gegenteil ist der Fall, da die Effizienz und damit auch der Materialbedarf für Kernreaktoren mit sinkender Leistung steigen. Skaleneffekte durch Massenproduktion führen zwar zur Kostenreduktion, jedoch erst bei mehreren tausend Exemplaren. Diese hohe Anzahl würde wiederum zu einem größeren Risiko eines Kernunfalls mit radioaktiver Verseuchung von Mensch und Umwelt führen.

Letzterer Punkt wird leider – wie praktisch immer bei Atomkraftbefürwortern – auch im Papier der UNECE systematisch kleingeredet, wenn auch auf sehr durchsichtige Weise. Für Großbritannien wird etwa angenommen, dass „...die radioaktive Belastung für jedes Mitglied der britischen Gesellschaft pro Jahr in etwa der eines Rückflugs von Großbritannien nach New York entspricht.“ (S. 21) Das wären in konkreten Zahlen etwa 0,1 Millisievert für jeden Bürger Großbritanniens. Zum Vergleich: der Grenzwert für Strahlenbelastung in Deutschland beträgt 2,1 Millisievert pro Person und Jahr. Laut Zitat verteilt sich dieser Wert durch die britischen Atomkraftwerke jedoch auf „jedes Bevölkerungsmitglied“, also auch jene, die weit von jedem Reaktor entfernt wohnen. Im Umkehrschluß bedeutet das, dass die Strahlenbelastung in der Nähe zu Atomkraftwerken deutlich ansteigt! Eine Studie des Mainzer Kinderkrebsregisters aus dem Jahr 2007 belegt etwa eine eindeutige Zunahme von Kinderkrebsfällen, je näher die Kinder an einem Atomkraftwerk wohnen.

Diese Unterschlagung wichtiger Informationen und die Verharmlosung der Auswirkungen von radioaktiver Strahlung auf Kleinkinder, Jugendliche und Erwachsene ist bestenfalls unethisch, im schlimmsten Falle kriminell!

Die positiven Auswirkungen auf die Energiewende werden im UNECE-Papier unverhältnismäßig aufgebläht, die negativen Folgen auf Mensch, Natur, Umwelt und Ökonomie systematisch kleingeredet oder verschwiegen. Die Einschätzung der UNECE, dass Atomkraft ein unverzichtbarer Bestandteil der Energiewende sein müsste, steht daher auf keiner sachlichen und auf einer deutlich unethischen Basis. Sie kann daher keinen Platz in der Energiewende einnehmen!

Quellen:

<!--[if !supportLists]-->·         <!--[endif]-->Atompropaganda mit UNO-Logo ... - oekonews.at

<!--[if !supportLists]-->·         <!--[endif]-->Homepage | UNECE

<!--[if !supportLists]-->·         <!--[endif]-->International climate objectives will not be met if nuclear power is excluded, according to UNECE report | UNECE

<!--[if !supportLists]-->·         <!--[endif]-->Nuclear power brief_EN_0.pdf (unece.org)

<!--[if !supportLists]-->·         <!--[endif]-->Ist Atomstrom wirklich CO2-frei? | Umweltbundesamt

<!--[if !supportLists]-->·         <!--[endif]-->CO2-Emissionen von Photovoltaik und Windkraft sind gering - ERNEUERBARE ENERGIEN

<!--[if !supportLists]-->·         <!--[endif]-->Wirtschaftskommission für Europa – Wikipedia

<!--[if !supportLists]-->·         <!--[endif]-->Atomkraft weder klimafreundlich noch wirtschaftlich  - Österreichische Energieagentur (energyagency.at)

<!--[if !supportLists]-->·         <!--[endif]-->Forschungsendbericht_LCA_Nuklearindustrie_ENTWURF (energyagency.at)

<!--[if !supportLists]-->·         <!--[endif]-->Brutreaktor – Wikipedia

<!--[if !supportLists]-->·         <!--[endif]-->Kernkraftwerk Flamanville – Wikipedia

<!--[if !supportLists]-->·         <!--[endif]-->Kernkraftwerk Hinkley Point – Wikipedia

<!--[if !supportLists]-->·         <!--[endif]-->BUND-Hintergrund: Kinderkrebs um AKW

<!--[if !supportLists]-->·<!--[endif]-->BfS - Höhenstrahlung beim Fliegen - Höhenstrahlung beim Fliegen

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